Dolmusch

 

Kurvig windet sich die Straße entlang der steilen Küste. Immer wieder muss der Reisende die Kontouren der Täler ausfahren, die sich tief ins Land schneiden.

Achmet fährt diese Strecke schon seit 35 Jahren und seit 13 Jahren in diesem Bus. Jeden Tag 4 mal die selbe Strecke, zwei mal hin, zwei mal zurück.


Als Dolmuschfahrer muss Achmet  verheiratet, über 25 Jahre sein und einen guten Ruf haben. Und den hat Achmet. Noch nie hat er einen Unfall gehabt, von ein paar Kratzern mal abgesehen und erst recht ist nie jemand bei ihm zu Schaden gekommen. Achmet ist stolz auf seinen Beruf und sein Dolmusch. Es ist noch eines von den echten Dolmusch. Nicht so ein komischer Minibus, wie ihn Ali fährt. Überhaupt Ali, gerade 25 geworden und schon die Strecke von seinem Vater übernommen. Der war froh darüber, mit seinen Augen wir es schließlich auch nicht besser. Und was macht der Junge? Das gute Dolmusch seines Vaters verkauft und so einen Minibus angeschafft. Wie er den wohl bezahlt hat? Aber  er wird noch sehen was er davon hat. Diese modernen Busse sind doch ständig kaputt und wenn mal was ist müssen sie gleich in die Spezialwerkstatt und schon ist der Wagen wieder für 2 Tage ausgefallen. Ja das alte, das war auch ein Deutz, genau so wie seines. Sandfarben, mit großer Scheibe und der Seitentüre in der Mitte, so das alle bequem ein und aussteigen können. 12 Personen passen da rein, und wenn es sein muss auch mal mehr. Und es muss oft sein. So in Gedanken lenkt Achmet seinen Wagen die kurvige Straße entlang. Es ist nicht viel los heute Morgen, kam Verkehr und hinten sitzen auch nur zwei Fahrgäste. Die alte Sinem muss mal wieder nach Inebolu zum Arzt, sie wird heute Nachmittag wieder zurück fahren und natürlich wird er den kleinen Umweg machen und sie vor Ihrem Haus absetzen. Sonst ist da nur noch ein Tourist mit dickem Rucksack. Fremde kommen nicht oft in diese Gegend und noch seltener bedienen sie sich der Dolmusch. Leider, denn immer mehr kaufen sich nun eigene Autos und fahren seltener mit dem Dolmusch.

Armet biegt um die letzte Kurve ins Abena Tal ein. Das Tal ist eines der längsten, auf fast drei Kilometer rückt die Straße auf beiden Seiten des Tales immer näher bis zu ihrem Scheitel, der schmalen Brücke.

Nahezu gleichzeitig biegt auf der anderen Seite ein weiterer Wagen ins Tal ein. Ali, bedient die selbe Strecke in Gegenrichtung.  Sein nagelneuer Toyota ist sein ganzer Stolz. Als er gerade in Udyne Pause hatte hat er diese LED Lichter wieder angesehen. Sobald er wieder Geld hat will er sie sich kaufen und an den Kühlergrill bauen. Das sieht so cool aus! Man muss ja auch mit der Zeit gehen. Deshalb wollte er auch unbedingt das neue Auto. Strahlend weiß, mit Servolenkung, und automatischer Tür. Das hat sonst noch keiner.

Klar, das immer mehr Leute sich ein eigenes Auto kaufen. Wer mag schon noch mit so einer alten klapprigen Kiste wie dem alten Dolmusch fahren? Nicht mal Klimaanlage hat das und diese harten Sitze! Sein Vater hat all sein erspartes gegeben und Ali musste trotzdem noch hohe Schulden machen, aber er hat es keinen Augenblick bereut. Er wird die Tradition seines Vaters fortsetzen und der kann stolz auf ihn sein. Außerdem der Erfolg gibt ihm recht! Sein Wagen ist bis auf den letzten Platz besetzt. In Udyne ist Markt und die Frühaufsteher sind schon wieder auf dem Rückweg.

Das ist doch dieser Ali mit seinem neumodischen Bus, denkt Achmet, als er den Toyota auf der anderen Seite des Tales einbiegen sieht. Sie sind gleich auf, und die Strecke auf beiden Seiten ist ungefähr gleich weit, bis zur Brücke. Einer wird warten müssen, für beide ist die Brücke nicht breit genug.

Ob Ali ihn schon gesehen hat? Achmet beschleunigt. Die ersten 2 Kurven sind nicht steil, und nein, Ali scheint ihn noch nicht bemerkt zu haben. Er wird zuerst an der Brücke sein und seinem jungen Kollegen mal zeigen, das auch sein Dolmusch noch was taugt! Er schaltet noch einen Gang runter.

Ali ganz in Gedanken an seine neuen LED Leisten sieht erst jetzt zur anderen Talseite. Manchmal fahren hier Touristen, die die Strecke nicht kennen, besser man weiß was einem entgegen kommt. Ok, nur eines von diesen Alten Deutz Dolmusch, kein Problem er wird vor ihm an der Brücke sein. Wer ist das? Der andere scheint zu beschleunigen, richtig, er hat schon heruntergeschaltet, die Rauchwolke aus dem Auspuff ist nicht zu übersehen. Er kann den Fahrer nicht erkennen, noch ist er zu weit weg. Der wird doch nicht wirklich versuchen vor ihm an der Brücke zu sein? Ali’s Bus hat mindestens doppelt so viel PS, der hat doch gar keine Chance! Dem wird er mal zeigen was moderne Technik ist und schaltet runter.

Achmet hat einen guten Vorsprung. Gut diese neuen Dinger haben schon mehr Leistung aber Leistung ist schließlich auch nicht alles. Man muss auch fahren können und keiner kennt diese Strecke besser als Achmet. 25 Jahre fährt er sie nun schon! 4 mal am Tag! Die nächsten Kurven werden steiler und für eine Weile kann er die Gegenseite nicht mehr sehen. Der Deutz neigt sich in den Kurven.


Wer verdammt nochmal ist das da auf der anderen Seite, der da fährt wie der Henker? Egal, er wird es schaffen, noch um die nächste Kurve, dann kann der die andere Seite wieder sehen. Der andere hat immer noch etwas Vorsprung, aber Ali hat gut 100 Meter aufgeholt. Hätte er doch gleich besser aufgepasst. Jetzt die Gerade, Ali gibt Vollgas und zieht gleich. Endlich kann er sehen wer ihn da herausfordert. Achmet! Der Alte, der ewig Gestrige, ausgerechnet der meint es mit seinem 30 Jahre alten Deutz gegen den Nagel neuen Toyota aufnehmen zu können?

Ali hat aufgeholt, sind schon ganz schön schnell diese neuen Dinger. Und jetzt sieht er rüber, soll er nur, soll nur wissen mit wem er es zu tun hat. Seine PS helfen ihm auch nur hier auf dem geraden Stück, jetzt kommen die engen Kurven, da wir er seinen Vorsprung wieder verlieren. Frau Sinem klammert sich fester an den Haltegriff, der Tourist sieht ihn fragend an, als er nochmal Gas gibt. Durch die Kurven, der Deutz ächzt, aber er schafft es die Position zu halten.


Ganz schön flott unterwegs der Alte, denkt Ali. Klar, der ist ja auch ganz leer und er hat den ganzen Wagen voll! Von Hinten werden langsam Stimmen laut! Eine Tasche ist umgefallen, Gurken und Tomaten rollen durch den Wagen. Darauf kann er jetzt keine Rücksicht nehmen. Es geht um die Ehre. Es sind noch höchstens 500 Meter bis zur Brücke.

Das wird knapp denkt Achmet. Aber er hat noch einen Trumpf. Auf der Gegenseite ist doch letzte Woche ein Stück Straße abgerutscht. Das kann er unmöglich so schnell drüber fahren. Er muss abbremsen und das wir ihm den entscheidenden Vorteil geben. Ali ist schnell, sehr schnell. Er wird sich doch an die Stelle mit der abgebrochenen Straße erinnern? Der Abhang ist steil, wenn er da abrutscht... Das Hinterrad hebt sich leicht an in der Kurve. Die Alte klammert sich noch fester an den Griff, der Tourist hat aufgehört zu schimpfen und klammert sich am Sitz vor ihm fest.

Man das ist ein harter Knochen, denkt Ali! Der will es wohl echt wissen! Die Reifen quietschen in der Kurve. Mist da vorne, die Stelle, die neulich abgerutscht ist! Das die aber auch immer so lange brauchen um sowas zu reparieren. „So schnell, kann er da nicht drüber fahren“, ein Blick aus dem Seitenfenster, er hat etwas Vorsprung, er schaltet nochmal runter und tritt auf die Bremse. Hopernd und krachend mehr springend als fahrend überquert der die schlechte Stelle, hinten schreit jemand. Er gibt wieder Gas. Die Brücke liegt vor ihnen.

Achmets Blick pendelt zwischen Ali’s Dolmusch und der Brücke, Es sind nur noch wenige Meter und er hatte recht. Er liegt eindeutig vorne. Ali muss bremsen, er liegt vorne, er fährt zuerst über die Brücke. Noch 100 Meter. Er muss bremsen, das muss er doch sehen. Noch 50 Meter. 40 Meter. Achmet liegt vorne, eindeutig liegt er vorne. Da endlich! Auf der Gegenseite quietschen die Bremsen, schlingernd kommt der Toyota nur Meter vor der Brücke zum Stehen. Fast gleichzeitig rauscht Achmet an ihm vorbei.

Achmet hat noch nie an dieser Brücke gewartet. Und schon gar nicht auf einen Toyota.